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So digital wie nötig, so analog wie möglich

Aus dem Seminar: „Der Motor der Globalisierung“ (12. - 17.02.2006)
So digital wie nötig, so analog wie möglich

Ein politisches Seminar definiert in der Regel Akteure in gesellschaftlichen Konstellationen, analysiert deren Handlungsmotive und Interdependenzen. Daraus erwachsen Vorhersagen über mögliche Gegenstrategien. Ist das aktuell im Haus Brannenburg angebotene Seminar in diesem Verständnis ein politisches Seminar?

Jedem Ding wohnt potenziell Macht inne
Trotz einer augenscheinlich technischen Akzentuierung handelt es sich ausdrücklich um ein politisches Seminar. Denn sowohl die Möglichkeit des Zugriffs auf neue Technologien als auch deren Nutzung ist motivgesteuert. Das bedeutet, dass Technologie keinen Wert an sich hat. Vielmehr wird jede Neuerung zur Erlangung und Sicherung von ökonomischer und/oder politischer Macht genutzt. Ob zum Schaden des einen oder zum Nutzen des Anderen bleibt dabei zunächst noch unkommentiert. Eine Frage, der das Seminar nachgeht, lautet: Sind Innovationen Auslöser der Globalisierung oder machen neue Technologien Globalisierung erst möglich? In diesem Zusammenhang will das Seminar beides leisten: Neue technische Möglichkeiten und deren Anwendbarkeit darstellen und gleichzeitig vermitteln, welche (politische) Macht in ihrer Nutzung für die eigenen Anliegen liegt.

Sex im Internet ist alltäglich – internationale Gewerkschaftsarbeit nicht
Norbert Großhauser-Fernau, Referent des Seminars: „Alles, was technisch möglich ist, wird eingesetzt – ob es sinnvoll ist oder nicht. Ein Auto mit 300 PS ist unsinnig – es gibt aber Menschen, die dieses Auto kaufen wollen. Die Frage ist nur, wie der Fahrer damit umgeht. Ähnlich verhält es sich mit anderen Neuerungen. Die Frage ist nicht, ob sie genutzt werden, sondern zu welchem Zweck sie verwendet werden. An dieser Stelle bekommen sie eine politische Dimension.“
Das Brannenburger Seminar vermittelt, welche Chancen in einer Globalisierung liegen, die diese technischen Neuerungen hervorbringen. Sich grundsätzlich davor zu verschließen hieße, sich selbst seiner Wirksamkeit zu berauben. Man kann das Internet negieren oder ignorieren, weil es Plattform für sexuelle Perversionen, Ausbeutung oder Hass ist. Es deshalb nicht als Werkzeug für seine eigenen Anliegen zu nutzen, ist kontraproduktiv. Ähnlich verhält es sich mit anderen Neuerungen. In der politischen Auseinandersetzung – so der Tenor des Seminars – kann man es sich nicht leisten, dem politischen Gegner bestimmte (technologische) Felder zu überlassen und selbst auf deren Nutzung zu verzichten. So wird den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vermittelt, dass es höchste Zeit ist, diese Technologien bewusst und zielgerichtet zu nutzen, um der Internationalisierung und Globalisierung mit weltweit wirksamen Methoden zu begegnen.

Kollegen in Indien und anderswo
Klar ist auch: Jede technische Neuerung bedingt neue Kompetenzen der Anwender. So ergeben sich aus den technischen zunächst politische und schließlich internationale – respektive interkulturelle - Anforderungen. Im Sinne einer internationalen Solidarisierung werden Qualifikationen notwendig, auf die gewerkschaftliche Bildungsarbeit antworten muss. Soll beispielsweise eine Auseinandersetzung darüber, warum Unternehmen zunehmend in so genannten „Billiglohnländern“ produzieren lassen erfolgreich sein, muss sich die betriebliche Interessenvertretung beispielsweise auch mit den Kolleginnen und Kollegen in Indien, Polen oder China auseinander setzen. Das erfordert nicht nur Sprach-, sondern vor allem interkulturelle Kompetenz. Hierin liegen die großen Aufgaben der Gewerkschaften in naher Zukunft sollen wirksame Antworten beim Stichwort Globalisierung gefunden werden. Internationale Vernetzung, Austausch und Kooperationen sind dringend angeraten.

Technik ist nur eine Seite internationaler Zusammenarbeit
Bernd: In meinem Verlag hat die Digitalisierung in den letzten Jahren zu massiven Personalreduzierungen geführt. Ich spüre aber, dass diejenigen, die davon nicht direkt betroffen sind, den Zusammenhang zwischen Globalisierung, technologischer Entwicklung und dem Geschehen im Betrieb nicht sehen. Mit so einem Seminar wie hier in Brannenburg bekomme ich Argumentationshilfen, um das Bewusstsein dafür bei meinen Kolleginnen und Kollegen zu schärfen.
Christine: Zig Arbeitsplätze sind in Deutschland bereits mit dem Argument verloren gegangen, man müsse sich der Globalisierung beugen. Da wird der Kollege in Deutschland gegen den in Polen ausgespielt. Hier in Deutschland wird gesagt, dort produziere man billiger; in Polen, dass die Arbeit nicht besser bezahlt werden kann, weil die Qualität nicht stimme. Verlierer sind beide. Abhilfe muss hier der Austausch der Belegschaften über Grenzen hinweg sein. Dabei sind technische Neuerungen wie das Internet, Videokonferenzen und ähnliches ein Hilfsmittel. Meiner Meinung nach sind persönliche Kontakt aber nach wie vor notwendig in der internationalen Arbeit. In diesem Zusammenhang spielen die Bildungsstätten eine wichtige Rolle, weil sie Räume der Begegnung und des Lernens sind.
Bernd: Ich kann viele Erkenntnisse direkt in meiner Arbeit als Betriebsrat einfließen lassen und habe erkannt, dass ich auch selbst den Zusammenhang technische Entwicklung und Globalisierung mit meinem Kaufverhalten beeinflussen kann. Ich denke, dass mit solch’ einem Seminarangebot das Haus Brannenburg beweist, dass es ein sehr ‚politisches’ Haus ist, das konkrete Anleitungen für das Handeln im Betrieb gibt.
Christine. Schön wäre es, wenn zu dieser Thematik vertiefende Angebote geben würde, denn so schnell sich die Technik entwickelt, so dringend muss auch der Inhalt solcher Seminare an den aktuellen Stand angepasst werden.

Weitere Informationen:
Leitung Haus Brannenburg
Marion Fendt
Fon: 0 80 34.9 05 - 1 40
Fax: 0 80 34.9 05 - 1 46
marion.fendt@verdi.de


(Marko Junghänel, 06.03.2006)